zurückHauptseite

 

Das Leben schreibt die besten Geschichten....

Oder: wenn es das HQ nicht gegeben hätte

John Richard Glattback *23.01.1929 +17.10.2006

Es ist Frühsommer 1950. Ein Pferdegespann rattert durch strömenden Regen auf der alten B57 Richtung Rheindahlen. Unter der Plane wenige Habseligkeiten, eine Frau und ihre zwölfjährige Tochter. Der Kutscher hockt griesgrämig auf dem Bock und murmelt: „Die Sonne sandte ihre Strahlen auf das Kappesland Rheindahlen". Die beiden Frauen kommen aus Sachsen-Anhalt, wo sie nach der Vertreibung aus dem Sudetenland fünf Jahre lebten. Sie haben auf der Mennrather Straße eine Wohnung gefunden, wo sie endlich den Mann und Vater wiedersehen werden, der vor drei Jahren über die „grüne Grenze" in den Westen kam. Die alten Rheindahlener mögen sich an ihn erinnern, den Bezirksschornsteinfegermeister Pilz.
Das Mädchen kam für kurze Zeit in die Rheindahlener Volksschule. Nach einem halben Jahr wechselte es zur Realschule. Das war nicht einfach, denn es kam, vertreibungsbedingt, aus der 4. Grundschulklasse ins 6. Schuljahr, wie es seinem Alter entsprach. Aber Mathe und Englisch waren und blieben ein Problem, besonders, als das Mädchen nach der Mittleren Reife aufs Gymnasium wollte.
 
Es beschloss also, sich Hilfe zu organisieren. Nachhilfestunden gab es damals noch nicht. Inzwischen war 1953 im Rheindahlener Wald das Nato-Hauptquartier gebaut worden. Dort gab es im YWCA - der eine oder andere mag sich erinnern - einen Anglo-German-Club. Ingrid, so hieß das Mädchen, besuchte die Treffen regelmäßig. Bei einem Tanzabend lernte sie einen jungen Engländer kennen, der ihr gut gefiel. Sehr bald waren die beiden unzertrennlich, und da er kein Wort Deutsch sprach, klappte das Englischlernen hervorragend. Noch glaubten beide, dass es dabei bleiben solle.
John fühlte sich glücklich in Deutschland. Er war nicht das erste Mal hier. Er war für die Berliner Luftbrücke geflogen. Damals lernte er in Gatow, einem Luftwaffenstützpunkt in Berlin, einen jungen Sanitäter kennen, mit dem er sich gut verstand. Hoffmann hieß er. Dass die beiden sich Jahre später in Rheindahlen wiedersehen sollten, ahnten sie nicht. Es zog John magisch nach Deutschland. Dass daran nicht nur die Liebe schuld war, sollte er später erfahren.
Dann wurde John zurück nach England versetzt, und der Trennungsschmerz war groß. Einzige Chance zurück zu kommen war, gut Deutsch zu lernen. So schickte Ingrid, die inzwischen in Aachen an der PH studierte, jeden Tag Hausaufgaben nach England – einen PC oder Internet gab es damals noch nicht.
     
Die Post hat sich eine goldene Nase verdient, aber John schaffte die Prüfung und wurde nach Berlin versetzt. Ingrid folgte ihm nach ihrem Lehrerexamen. Es wurde geheiratet. Die ältere Tochter Britt kam in Berlin zur Welt.
1967 zog die kleine Familie wieder nach Rheindahlen in das elterliche Haus in der Siedlung am Grotherather Berg. Im Dezember kam das zweite Kind, Elke, zur Welt. John hatte in Berlin als erster Engländer überhaupt das Examen für das Lehramt bestanden und trat in Rheindahlen seine erste Stelle als Lehrer an.
Am ersten Arbeitstag begegnete er im Flur dem Schulhausmeister, einem Herrn Hoffmann... (Viele werden sich an ihn erinnern). John unterrichtete an der Haupt- und an der Grundschule. Der Englischunterricht fand aus Platzmangel manchmal in der Aula statt.
Bei den Kleinen war er für seine Späße beliebt. Er war mit Leib und Seele Lehrer. Mit seinem unverwüstlichen, englischen Humor zog er die Kinder in seinen Bann und hat so manche Weiche gestellt. Ich denke, es gibt noch genügend ehemalige Schüler, die sich an den „Herrn Gladbeck" (Glattback), wie alle zu sagen pflegten, erinnern ... es stehen immer wieder Blumen auf seinem Grab.
In dieser Zeit geschah es immer wieder, dass man bei Ämtern sagte: „Nein, nicht wo Sie wohnen, wie Sie heißen, möchte ich wissen..."
 
  Und dann erfuhr er, dass sein Familienname kein Zufall ist. Ein Vetter, der Ahnenforschung betrieb, fand heraus, dass Vorfahren tatsächlich hier gelebt und in der Geschichte der Stadt mitgewirkt hatten. Urkunden, die wohl im Münster aufbewahrt werden, besagen, dass einer seiner Vorväter mit dem Namen Gladbach eine Fehde zwischen Broich und Roermond beigelegt habe. Die Schreibweise des Namens ist erst im letzten Jahrhundert in England durch seine Großmutter eigenmächtig geändert worden. (Hier ginge das kaum). Sein Großvater war Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Frankfurter Raum nach England ausgewandert. So war John nichtsahnend als Luftwaffenangehöriger in die Stadt zurückgekommen, in der seine Vorfahren lebten. Er hat eine Deutsche geheiratet, obgleich eine V6 sein Elternhaus zerstörte. Er war bis 1991, immerhin 24 Jahre, Lehrer an der Katholischen Grundschule Rheindahlen.  
Er hatte jedoch, zusammen mit seiner Frau, aus seinem größten Hobby, dem Turniertanz, eine Art zweite Karriere aufgebaut und in England alle Trainerscheine bei der „Imperial Society of Teachers of Dancing" abgelegt, um berechtigt zu sein, Tanzunterricht zu erteilen. Der TSC Rheindahlen e.V., den er und seine Frau am 8.8.1988 bei der Gründungsversammlung ins Leben riefen, gedieh und wurde der größte Tanzsportclub in NRW – mit damals (2003) fast 900 Mitgliedern. Er war „sein Baby, an dem seine ganze Liebe hing. Durch sein Engagement und die tatkräftige Hilfe von Bernhard Lotze entstand 1999, zehn Jahre nach der Gründung des Vereins, das Tanzforum auf der Broicher Straße. Auch aus dieser Zeit werden sich viele an diesen „Wahl-Rheindahlener" und an fröhliche Tanzstunden im alten Haus Dahlen erinnern. Wenn man dieses Leben hätte planen wollen, man hätte es nie so hingekriegt.
Im Oktober 2013 wird es nun schon sieben Jahre, dass John Richard Glattback auf dem Rheindahlener Friedhof seine letzte Ruhestätte fand. Aber es heißt wohl nicht umsonst in dem Spruch, den man so oft in Traueranzeigen liest: Manche Menschen hinterlassen ihre Spuren für immer.
   
                                  
Ingrid Glattback, veröffentlicht im SL 09/2013 
                                                                                                                                                        

 

zurückHauptseite